Zungenschlag

Anmerkungen zum Stück

Das Material für dieses Stück sind schwingende Zungen, wie sie als eines der grundlegenden Schwingungserzeugungsprinzipien bei einem Großteil der Musikinstrumente vorkommen. Wir kennen freischwingende Zungen (Akkordeon, Harmonium, Harmonika-instrumente, Maultrommeln, Kalimba, manche Orgelpfeifen), aufschlagende Zungen (Klarinette, Saxophon, Lingualpfeifen bei Orgeln) oder gegenschlagende Zungen (Oboen-instrumente, Lippen der Blechbläser, Stimmlippen im menschlichen Kehlkopf).
Die Resonanzfrequenz der Zungen bestimmt, manchmal in Zusammenhang mit einem angekoppelten Hohlraum oder Rohr, den Tonhöheneindruck.
Die Stimmlippen oder –bänder sind zusammen mit dem Vokaltrakt und der Zunge die Voraussetzungen für das Hervorbringen von verschiedenen Vokalen, Konsonanten und modulierbaren Tonhöhen – physikalisches Fundament von Sprache und Gesang, somit auch Musik.

Gemäß der heute allgemein anerkannten Evolutionstheorie haben sich die Sprache und die Sprachwerkzeuge herausgebildet, weil sie der menschlichen Rasse einen Überlebensvorteil verschafft hat.
Ist Musik ein Ergebnis der natürlichen Zuchtwahl?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Kunst und Evolution?

Der Neurobiologe und Psychiater Manfred Spitzer:
Große Gehirne und die mit ihnen mögliche Musik sind so nutzlos wie Verlobungsringe, Pfauenräder oder Hirschgeweihe und stellen nichts weiter dar als Indikatoren der Fitness zur Parasitenabwehr.

Die Wissenschaftsphilosophen Matthias Uhl und Eckhart Voland:
Somit handelt es sich bei Kunstwerken also nicht nur um Zeugnisse einer nach Ausdruck suchenden Schaffenskraft, sondern zugleich auch um ehrliche Signale, die durch vermeintlich verschwenderischen Ressourceneinsatz darauf zielen, ihrem Schöpfer Prestige zu verschaffen.

Der Linguist und Kognitionswissenschaftler Stephen Pinker:
Ich vermute, daß Musik akustischer Käsekuchen ist.

Klangbeispiele

Hörbeispiel: (reduziert auf Stereo)

Anmerkungen zur Realisation

Das Klangmaterial, in der Hauptsache flatternde Plastik-, Holz- und Metalllineale sowie einige wenige andere „Zungenklänge“, wurde nahezu vollständig in SuperCollider organisiert und verarbeitet. Die so entstandenen mehrkanaligen Prozeßschichten wurden abschließend mit Nuendo zum Gesamtablauf des Stückes zusammengefügt.
Für die zeitliche Organisation der einzelnen Prozesse kamen dabei hauptsächlich Algorithmen der generativen Grammatik, sogenannte L-Systeme, zum Einsatz, die mithilfe der Pattern-Objekte in SuperCollider formuliert wurden. L-Systeme und sogenannte Transformationsgrammatiken sind aus der Linguistik, aber auch in der Biomathematik und ebenso in der Musikwissenschaft als Analysewerkzeuge zur Beschreibung grundlegender Strukturen komplexer Systeme bekannt, wie die Grammatik menschlicher Sprachen, der Aufbau von Sinfonien oder das Wachstum von Pflanzen. Ich habe dieses Verfahren eingesetzt, um verschiedene, vom Klanginhalt abhängige Zeitstrukturen zu generieren, die eine gewisse Ähnlichkeit zur Sprache und zum Miteinandersprechen entwickeln.
Die eigentliche Klangbearbeitung umfasste Techniken wie (Formant-)Filterung, Convolution, Intermodulation, Granularsynthese u.a.